Rezension um Film Im Osten was Neues von Loraine Blumenthal

Von Fabian Wichmann

Loraine Blumenthals Dokumentarfilm Im Osten was Neues erzählt von Fußball, Flucht und einem Mann, der einmal rechtsradikal war. Doch was wie eine Geschichte über Ausstieg beginnt, wird zum vielschichtigen Porträt einer ostdeutschen Kleinstadt im Jahr 2025. Zwischen Beamerbildern der Vergangenheit, abgestandenem Kaffee am Küchentisch und Gesprächen am Kanal entsteht ein stiller, eindrücklicher Film über Zugehörigkeit, Widersprüche – und die leisen Kräfte des Wandels. Gestern lief der Film im Rahmen der Dokumentale in Berlin – und berührte ein Publikum, das plötzlich näher dran war, als es vielleicht erwartet hatte.

Nicht mit Gewehr und Stahlhelm, sondern mit Fußball, gescheiterter Männlichkeit und abgestandenem Kaffee schreibt Im Osten was Neues eine ganz eigene Chronik des Wandels. Loraine Blumenthals Dokumentarfilm ist ein feinfühliges, unaufgeregtes Porträt über Integration, Identität und menschliche Nähe in einer Zeit gesellschaftlicher Zerreißproben. Im Mittelpunkt steht Thomas „Eichi“ Eichstätt, ein ehemaliger rechtsextremer Skinhead aus Torgelow in Mecklenburg-Vorpommern. Heute trainiert er mit unermüdlicher Hingabe den FC Pio – ein Fußballteam junger Geflüchteter aus Irak, Afghanistan, Tschetschenien, Sierra Leone der Ukraine. Ihre Geschichten handeln nicht vom Spiel allein, sondern vom Suchen und Bleiben – und von der offenen Frage: Wohin führt das Ankommen?

Blumenthal begleitet Eichi und seine Spieler über einen Zeitraum von mehreren Jahren und zeichnet das Bild eines ungewöhnlichen Miteinanders. Der Film zeigt eindrucksvoll, wie Fußball zu einem Ort der Begegnung, der Hoffnung und der Heilung werden kann. Hinter der Fassade einer Sportgeschichte öffnet sich ein facettenreicher Blick auf individuelle und gesellschaftliche Umbrüche.

Kein Held, kein Klischee

Besonders bewegend ist der Kontrast zwischen Eichis Vergangenheit und seiner heutigen Rolle. Ohne Pathos, aber mit viel Empathie dokumentiert der Film seinen Wandel vom Aussteiger der rechten Szene zum Coach, der seinen Schützlingen mit Verständnis, Strenge und Wärme begegnet. Die Jugendlichen, viele von ihnen traumatisiert durch Krieg oder Flucht, finden in ihm nicht nur einen Trainer, sondern auch einen Vertrauensmenschen, der sie ernst nimmt – und der sich selbst hinterfragt.

Was als Sportgeschichte beginnt, ist ebenso wenig ein bloßes Aussteigerporträt – sondern vielmehr ein sozialer Mikrokosmos zwischen Erinnerung und Veränderung. Eichis Vergangenheit als Rechtsradikaler wird nicht spektakularisiert, sondern als Teil seiner Biografie und damit auch seiner Gegenwart verstanden – nicht mehr und nicht weniger. Sie steht im Film nicht im Mittelpunkt, sondern bildet einen Resonanzraum, der die Vielschichtigkeit seines Wandels und die Widersprüchlichkeit realer Lebenswege sichtbar macht. Gerade dadurch wird Eichi zur Symbolfigur für Veränderung – nicht als Heldenerzählung, sondern als Beispiel dafür, dass Entwicklung möglich ist, auch dort, wo Brüche und Irrwege Teil des Lebens sind und er, wie alle Protagonisten im Film, noch heute mit den Herausforderungen und Zumutungen der sozialen Realität ringt.

Viele kleine Wahrheiten

Der Titel verweist nicht nur auf einen geografischen Raum, sondern auf eine vielschichtige soziale Realität, die in großen politischen und medialen Debatten häufig zu kurz kommt. Der Film schafft etwas, das Diskussionen über Rechtsextremismus im ländlichen Raum – und über gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland insgesamt – nur selten erreichen: Er zeigt die Grautöne. Er erzählt nicht nur von Radikalisierung und Ausstieg, sondern zeichnet die feinen, oft widersprüchlichen Nuancen unserer Gegenwart nach.

Denn so sehr Eichi im Zentrum der filmischen Erzählung steht, so klar wird auch: Seine Geschichte ist nur eine von vielen. Fast ebenso zentral sind die Erzählungen der jungen Männer aus Afghanistan, Syrien, der Ukraine oder Tschetschenien, die nach ihrer Flucht in Torgelow gestrandet sind – physisch angekommen, aber innerlich oft orientierungslos. Der Film gibt ihnen Raum, ohne sie zu erklären oder zu instrumentalisieren. Er fragt nicht nur, woher sie kommen, sondern vor allem, wo sie jetzt sind – und was es bedeutet, in einer ostdeutschen Kleinstadt zu leben, die selbst mit Unsicherheiten und Umbrüchen kämpft.

Der Film stellt diese Realitäten nebeneinander – nicht gegeneinander. Und darin liegt seine leise politische Kraft: Er verweigert sich einfachen Zuschreibungen. Er gibt jenen ein Gesicht, deren Geschichten sonst oft im Hintergrund bleiben – und lässt spürbar werden, dass „Ankommen“ nicht das Ende einer Reise ist, sondern der Anfang einer neuen, offenen Frage.

Der Screenshot des Moments

Darüber hinaus ist der Film eine präzise beobachtete Sozialstudie über das Leben in Torgelow – einer Kleinstadt, die wie so viele Orte in Ostdeutschland mit demografischem Wandel, Abwanderung, politischen Spannungen und Integrationsfragen konfrontiert ist. Blumenthal gelingt es, mit großer Sensibilität einen Screenshot eines konkreten Moments im Jahr 2025 einzufangen – einen Augenblick, der tief in der lokalen Realität verwurzelt ist und zugleich stellvertretend für viele deutsche Städte steht. Die Kamera hält nicht nur das individuelle Ringen der Protagonisten fest, sondern dokumentiert zugleich die gesellschaftlichen Kontraste, die nebeneinander existieren: die Lebensrealität junger Geflüchteter, die sich in einem fremden Land Orientierung suchen, die Geschichte eines Mannes, der sich aus extremistischen Kreisen gelöst hat, und eine Stadt, die zwischen Vergangenheit und Zukunft oszilliert. Es sind diese zeitgleich stattfindenden Realitäten – das Nebeneinander von Misstrauen und Solidarität, Ablehnung und Neuanfang, Verhärtung und Wandel -, die Blumenthal ohne didaktische Überhöhung sichtbar macht. So wird der Film zu einem aufschlussreichen Zeitdokument, das zeigt, wie Integration und Veränderung im Alltag tatsächlich aussehen können – abseits politischer Schlagworte, nah an den Menschen, voller Widersprüche und doch hoffnungsvoll.

Die Kamera bleibt nah dran, ohne je aufdringlich zu sein. Sie zeigt Szenen des Zusammenhalts ebenso wie Rückschläge, Konflikte und Sprachbarrieren. Vielsprachige Unterhaltungen – auf Deutsch, Dari, Tschetschenisch oder Ukrainisch – sind integraler Bestandteil des Films und machen seine Authentizität aus. Dabei wird nie über die Geflüchteten gesprochen, sondern mit ihnen – ein wohltuender Perspektivwechsel, der selten gelingt. Er zeichnet dabei nicht nur individuelle Biografien, sondern auch das langsame, tastende Sich-Kennenlernen – zwischen Menschen, die unterschiedlicher kaum sein könnten, aber auf einmal Teil desselben Alltags sind. Und genau darin erzählt der Film nicht zuletzt: vom Leben der anderen – und davon, wie aus Fremdheit Vertrauen wachsen kann.

Der Blick bleibt dabei nicht unkritisch. Die finanzielle und politische Realität in Torgelow – einer strukturschwachen Region mit begrenzten Fördermöglichkeiten – wird klar benannt. Deutlich wird, dass Engagement wie das von Eichi häufig auf persönlichem Idealismus beruht, weil es institutionell kaum abgesichert ist. Gerade in dieser Spannung zwischen Einsatz und fehlender Unterstützung gewinnt seine Haltung an Tiefe und Gewicht.

Plötzlich in Torgelow

Blumenthal gelingt ein stilles, aber kraftvolles Plädoyer für Menschlichkeit, Dialog und die Fähigkeit zur Veränderung. Ihr Film zeigt, dass Integration mehr ist als Politik – sie ist gelebte Beziehung, geprägt von Vertrauen und gegenseitiger Anerkennung. Sie beginnt zwar mit politischem Willen, doch umgesetzt wird sie in der und durch die Gemeinschaft – von Menschen, die Verantwortung füreinander übernehmen. Eine Tatsache, die in der großen gesellschaftlichen Debatte oft vergessen wird, aber im Film eindrücklich spürbar wird.

Irgendwann sitzt man als Zuschauer nicht mehr im Kino, nicht mehr vor der Leinwand, sondern hat das Gefühl, mit den Protagonisten am Kanal zu rauchen, mit Eichi Bilder seiner Vergangenheit über den Beamer anzuschauen oder seinen ersten Kaffee am Morgen zu trinken – und man schmeckt förmlich, dass er ein wenig abgestanden ist. Das ist die stille, beinahe unsichtbare Leistung dieses sensiblen filmischen Zugangs: Er bringt uns nicht nur nahe, was erzählt wird, sondern lässt uns fühlen, wie es ist, dort zu leben.

Mit Im Osten was Neues legt die Regisseurin einen eindrucksvollen Dokumentarfilm vor, der nicht nur durch seine Thematik, sondern auch durch seine filmische Zurückhaltung und Nähe überzeugt. Ein Film, der lange nachwirkt – und der zeigt, dass selbst in rauem Klima neue Verbindungen wachsen können.

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